sha la la la la

- Vater, Vater, ich will nicht nach Amerika!
- Halt’s Maul, schwimm weiter.

Der Ausgangspunkt war eine von der Menschenrechtsorganisation Reprieve veröffentlichte Liste von Popsongs, die in Militärgefängnissen systematisch verwendet wurden, um die Psyche der Inhaftierten zu brechen. Es kam zu Protesten von Musikern, die nicht wollten, dass ihre Musik in Guantanamo verwendet wurde. Dies ist nicht Amerika, meinte Tom Morello von der Band Rage Against the Maschine.
Pop als Terror?

Stell dir vor, 20 Tage mit Wasser und Eminem, ohne Schlaf, ohne Ruhe, volles Licht und konstanter Lärmpegel. Hier einige Songs der Torture Playlist: Deicide “Fuck Your God”, Drowning Pool “Bodies”, Metallica “Enter Sandman”, Meow Mix “Jiingle”, Neil Diamond “America”, Eminem “White America”, Rage Against the Machine “Killing in the Name”, Queens “We are the Champions”. Es klingt wie ein Witz, aber diese waren Teil des “No Touch Torture”-Programms von Dick Cheney und der CIA.
Musik als Waffe?

Dies brachte mich zum Song “This Is Not Amercia” von David Bowie/Pat Methney . Sha la la la la. Das Lied wurde für den Film “Der Falke und der Schneemann” geschrieben, einem Spionagethriller aus dem Jahr 1985. Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges, geht es um zwei Jugendliche, die Geheimdokumente der CIA an den KGB verkaufen. Der Film basiert auf dem Buch “A True Story about Friendship and Espionage” von Robert Lindsay. Die Hauptperson Christopher Boyce wurde 1977 wegen Spionage zur 40 Jahren Gefängnisstrafe verurteilt. Sein Freund, Daulton Lee, bekam lebenslänglich.

Hier die Handlung des Films:
B. ist bei einer Firma angestellt und hat die Aufgabe, geheime Informationen zu kontrollieren. Sein Hobby ist die Beizjagd. Durch Zufall gelangt er an Dokumente der CIA, die Waffenlieferungen an Australien betreffen. Diese sollten verhindern, dass ein sozialistischer Präsident gewählt wird, und das empört B. sehr. Er spricht mit seinem Freund L., der drogenabhängig ist und Geld braucht.
Dies ist nicht Amerika, singt David Bowie.
Die zwei Freunde, die jung und idealistisch waren, sind tief desillusioniert geworden. Sie fahren nach Mexiko und wenden sich dort an die sowjetischen Behörden. Diese wollen mehr Informationen, aber B. lehnt eine engere Zusammenarbeit ab, weil er studieren möchte. Sie schlagen vor, dass er Russisch lernt, und zum Schluss geht er einen Deal ein. Gegen die Summe von 100.000 US-Dollar soll er den Sowjets Zugang zu kodierten Frequenzen der CIA verschaffen. Aber es kommt nicht zu der Transaktion.
L. ist inzwischen von der mexikanischen Polizei verhaftet worden, fälschlicherweise halten sie ihn für einen Terroristen, der einen Polizisten getötet hat. Er wird gefoltert und gesteht, er sei Spion. Trotzdem möchte er nicht in der Sowjetunion, sondern in den USA seine Strafe verbüßen. An der mexikanischen Grenze wird L. den Amerikanern ausgeliefert. B. fährt zurück, nimmt Abschied von seiner Freundin und lässt seinen Falken frei. Er setzt sich unter einen Baum und wartet auf die Polizei, die ihn sofort verhaftet. Der Film endet mit Bildern der zwei Freunde im Gefängnis. Sha la la la la.

Im Jahr 1980 entflieht Christopher Boyce aus dem Gefängnis. Nach einem Jahr auf freiem Fuß wird er wieder verhaftet und bekommt eine noch längere Strafe. In einer Anhörung 1985 erzählt er von den schlechten Verhältnissen in den Gefängnissen, sie seien viel brutaler, als er es sich vorstellen konnte. Gewalt und willkürliche Morde werden verübt und von den Wächtern stillschweigend akzeptiert.
Dies ist nicht Amerika, singt David Bowie.
Boyce ist der jüngste verurteilte Spion, der Jahrzehnte in amerikanischen Gefängnissen überlebt hat.  Nachdem er 2002 entlassen wurde, veröffentlicht er das Buch: “American Songs: The Untold Story of the Falcon and the Snowman”. In einem Interview erzählt er, was er über seinen jetzigen Kollegen Edward Snowden denkt: “Snowden is doomed”, sagt er. Sha la la la la.
Der Film hat Kultstatus, auch wegen des Lieds. Der große Popstar, David Bowie, ist neulich, im Januar 2016, gestorben, aber “This Is Not America” ist nicht sein größter Hit. Sha la la la la.

Dies war mein Ballast (Material), als ich mit der Produktion anfing. Ich forschte weiter, plante eine Reise nach New York, und bekam dafür Unterstützung vom norwegischen Kulturrat. Zusammen mit Margareth Kammerer und Aaron Snyder, fing ich an über einen musikalisches Konzept zu sprechen.
Snyder, ein Musiker aus Denver Colorado, kennt sein Amerika: die glatten Achtzigern mit den tiefen Untertönen. Der Traum aus den Fünfzigern zerbröselt, die ersten Ölkriege fangen an. Die Dinge, Waren, Gegenstände, die mit dem Wohlstand kamen, bilden das Zentrum des Alltags einer jeder Mittelstandfamilie, Statussymbole überdecken eine derbe Rückseite.
Kammerer ist eine italienische Sängerin und Komponistin. Für die geplanten Songs bezieht sie sich auf den afroamerikanischen Sänger und Komponisten Julius Eastman und lässt sich von seiner Kombination aus minimalistischer Musik und Pop mit politischem Engagement inspirieren.
Ich verwende eine ähnliche Methode wie in meiner Performance “this is not a love song” (2002-07), in der Popsongs mit neuen Texten kontaminiert und von choreographischen Mustern übermalt wurden. Diesmal arbeite ich mit neuen, weniger poppigen Songs, die Kammerer/Snyder für diese Produktion schreiben.

Um mich herum wächst die Pegida-Bewegung. In ihrer Angst, ihrem Hass gegen Alle und Alles, was fremd und “nichtdeutsch” ist, vereinen sich Islamophobie, Antiamerikanismus, Antisemitismus mit neoautoritärem Gedankengut. Daher möchte ich “sha la la la la” singen, und das ist weder Flucht noch Fluch, sondern das Besingen eines anderen Landes – der Traum von einem Land mit Erinnerung und Verantwortungsbewusstsein.
Der Kalte Krieg ist vorbei. Tausende Menschen sind auf der Flucht vor dem wirklichen und brutalen Alltag des Krieges. Sie suchen ihr Amerika. Die Realität ist stärker als jede Dichtung.
“Optimismus ist nur ein Mangel an Information.” (Heiner Müller)

Während meines Aufenthalts in New York fand ich die Bühne für diese Produktion. Auf Coney Island Brighton Beach, dort am Strand, waren einst gigantische Vergnügungsparks gebaut. Ende des neunzehnten und Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts entstand ein Amüsement-Center mit Steeplechase Park, Luna Park und Dreamland. Dreamland überdauerte nur sieben Saisons, es eröffnete 1904 und verbrannte 1911. Dreamland, das aufgehellte und strahlende Miniaturreich, ein leuchtendes, weißes Phantasieland. Vor Disneyland und Las Vegas – ein Tivoli, wie es in den europäischen Städten üblich war, nur viel größer. Ein Freizeitpark für das Bürgertum, hier blühten Heiterkeit, Frivolität, Groteske. Sodom by the Sea. Hells gate, Spiegelsäle, brennende Häuser und elektrisches Pferderennen, eine Achterbahn und der erste Hotdog. Dreamland. Thomas Edison war ein wichtiger Investor und Glühbirnen schmückten die Gebäude. Mit seiner Kamera wurde eine spektakuläre Hinrichtung gefilmt: der Elefant Topsy wurde 1903 mit Elektroden an den Füßen getötet. “The Land of Dreams and Desasters”. Ein Ausflugsort für die Bevölkerung New Yorks und Brooklyns. Badeland. An einem guten Tag wurden zwanzigtausend Postkarten aus Brighton Beach gesendet, mit Bildern von Ghost Train, Wonder Wheel, Loop the Loop. Traum – Alptraum. Im Jahr 1909 war Sigmund Freud zu Besuch in Dreamland. In dem einzigen noch bestehend Park, dem Luna Park, fand ich eine Postkarte vom Elephant Hotel.

Die Produktion ist die zweite in der Serie “Paradise Lost”. Die erste war “Nauru – eine szenische Vernehmung” 2015, die dritte, “Pluto – Monolog für einen Planeten”, ist für 2018 geplant. In diesem zweiten Teil bewege ich mich von der Beschreibung des Alltags weg hinüber in die Träume, fort von der bloßen Kritik dem politisch-sozialen Realismus und gehe in die Poesie.

T.A., Juni 2016.

Quellen:

“Christopher Boyce Congressional Testimony – What it’s really like to be a spy”, Video-Aufnahme 1985.
Beuys, Joseph. “I like America and America likes me”, Galerie Rene Bloc, N.Y., 1974, in: Erik van der Heeg, “Beuys och tranformationens geografi”, Kris 39-40, Stockholm 1990.
Bjørneboe, Jens. Vi som elsket Amerika. Pax Forlag, Oslo 1970.
Bowie, David / Pat Metheny Group. “This Is Not America” 1985.
Boyce, Christopher/Cait Boyce/Vince Font. American Sons: The Untold Story of the Falcon and the Snowman. Vince Font, LLC 2013.
Burns, Ric. “Coney Island”, Dokumentarfilm, 1991.
Chytroschek, Tristan. “Musik als Waffe”, Dokumentarfilm, ZDF/Arte 2010.
Coney Island Films, DVD, Freak Bar/Coney Island Museum 2015.
Defoe, Daniel. Libertalia: Die utopische Piratenrepublik. Helge Merves (Hrsg.) Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2014.
Denson, Charles. “Coney Island Lost and Found”, Ten Speed Press 2002.
Denson, Charles/Frank, Robin. Coney Island: Visions of an American Dreamland (1861-2008). Yale University Press 2015.
Hoem, Edvard. Bror din på prærien. Oktober Forlag, Oslo 2016.
Hoffmann, Laura J. Coney Island. Postcard History Series. Arcadia Publishing, Charleston 2014.
Kafka, Franz. Wunsch, Indianer zu werden, in: Erzählungen. Verlag Reclam, Leipzig 1981.
Marker, Chris. Amerika träumt. Imaginärer Film 1959, in: Kommentare 1, Brinkmmann & Bose, Berlin 2014.
Müllbauer, Peter. “Folter-Hitparade”, telepolis 12.12.2008.
Müller, Heiner. Traumtexte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2009.
Musil, Robert. Das hilflose Europa. R. Piper & CO Verlag, München 1961.
Peignot, Colette. Laure Schriften. Matthes & Seitz Verlag, München, 1980.
Peter Shadbolt, “Convicted U.S. spy Christopher Boyce: ‘Snowden is doomed’ “, CNN 15.06.2013.
Reprieve: “Musicians rise up against Guantánamo and demand to know if their music has been used to torture”, 22.10.2009.
Reprieve: “Zero dB musicians lead silent protest against music torture”, 10,12.2008.
Schlesinger, John (Regie). “The Falcon and the Snowman”, Film 1985.
Selnes, Gisle. “Exilia, Utopia, America”, in: Vagant 1/2004.
Sharrock, Justine. “The Torture Playlist”, Mother Jones 22.02.2008.
Shirelles, The (Mosley/Taylor) “Sha-La-La”, Impact Records 1985.
Sontag, Susan. In Amerika. Fischer Taschebuch Verlag, Frankfurt am Main 2005.
Stanton, Jeffrey. “Coney Island – Dreamland”, westland.net 06.04.1988.