Zum Protokoll des gescheiterten Films “Geschäftsidee”

Ich komme mit Urahne zum verabredeten Ort. Mit einem Kinderwagen gehen wir zur roten Infobox vor dem Palast der Republik, der „Schaustelle“. Urahne nimmt die Kamera: Ein Schwenk über das Gebäude des „selektiven Rückbaus“. Ein paar Touristen stehen neben uns. Stone und Velimir kommen an und wir besprechen den Ablauf. Ich ziehe mich um, warte. Warum diese komische Verkleidung könnte notfalls so erklärt werden: Wir sind Studenten von der Epidemie der Künste und wollen einen Werbefilm drehen. Wir warten bis die Touristen mit ihren Kameras weg sind. Ich unten mit dem Kinderwagen, die Jungs halten oben Ausschau, der Wachmann wird hinten im dritten Stock des Stahlgerüst-Gerippes besichtigt. Vorbereitungsaufnahmen: Handschuhe, die angezogen werden, ein langsames Spazieren mit Kinderwagen am Zaun entlang, das Schild „eine demokratische Entscheidung“. Noch ein bißchen Warten. Der Wachmann ist nicht mehr zu sehen.

Velimir und Stone laufen zum Zaun, klettern hoch, Velimir schreit und springt wieder runter. Aktion abgebrochen. In Deckung hinter der Box treffen wir uns, eine schnelle Besprechung, wir müssen verschwinden, sofort, und in unterschiedliche Richtungen. Der Wachmann war hinter dem Zaun und hat Velimir direkt in die Augen geschaut. Ab mit der Maske und Perücke, alles wird im Kinderwagen versteckt, und ein unauffälliges Verschwinden vom Ort beginnt.

Urahne geht vor mit der Kamera, Velimir und ich spielen ein Paar mit Kinderwagen hinterher, Stone bleibt als betrachtender Tourist zurück. Kurz vor der Ausgang kommt uns der Wachmann entgegen, er spricht am Funkgerät, schaut sich herum und uns vorbei. Ruhig kreuzten wir ihn, er hat uns nicht wiedererkannt. An der Straße sehen wir die Polizeiautos kommen. Mit heulenden Sirenen, wahrscheinlich wegen des Heiligendamm-Gipfels – wir hatten nicht daran gedacht, daß die Stadt in diesen Tagen nervös ist. An der Karl Liebknecht-Straße stehen mehrere Polizeiautos. Wir gehen in Richtung Fluchtwagen, wo Urahne auf uns wartet. Velimir sagt, ich solle mich langsam umdrehen und schauen, ob sie uns nach kommen. Ich sehe drei Polizisten, die ausgestiegen sind. Wir entscheiden uns weiterzugehen, am Fluchtwagen vorbei. Urahne fährt mit dem Auto weg, wir gehen weiter mit dem Kinderwagen bis wir außer Sicht sind. Urahne kommt zurück mit dem Auto, Velimir steigt ein. Ich ziehe einen Rock an und gehe zurück zum Drehort um Stone abzuholen, mache einen großen Bogen um die Polizeiautos, die nun Verstärkung bekommen haben. Der Wachmann gestikuliert. Stone winkt von der „Schaustelle” und läuft mir zu, wir begegnen uns, als hätten wir uns lange nicht gesehen. Gemeinsam gehen wir Richtung Straße, wo Urahne und Velimir mit dem Auto heranfahren. Ich steige ein, Velimir aus, er geht mit Stone zum Art Pub, wo wir uns wieder treffen.

Die Aktion war für die Kamera gedacht, eine Aktion, die dem Palast der Republik als Objekt hatte. Es lag mir im Magen, dieser perfide Abriß, der so unheimlich lange dauerte und zur Schau gestellt wurde, das langsame Ersticken des „Prestigeobjekts der DDR“. Das Vorzeigen korrekter Abbaumaßnahmen war seit Jahren permanent im Internet zu folgen. Es muß viel Haß dahinter stecken, um dieses „Haßobjekt“ so akribisch auseinander nehmen zu wollen. Die Mauer war schneller weg.

Aus dem Film wurde nichts. Aber unser Vorhaben war nicht umsonst, wir hatten den Stahl. Er war schon gestohlen. Am Vorabend hatte Stone einen Stahlträger über den Zaun gebracht. Außerdem hatten wir die Erfahrung, gemeinsam und instinktiv agieren zu können.

Der nächste Schritt war der Diebstahl zu sichern, er sollte bei ebay versteigert werden, so die neue Geschäftsidee. Vielleicht würde ein reicher Texaner das Berlin-Souvenir kaufen und Geld in die anarchopower-Kasse bringen? Am nächsten Tag wurde das Erinnerungsstück unauffällig zu Stone gebracht, fotografiert und ins Netz gestellt. Der Startpreis betrug 5 Euro. Keine Bewegung, ein langes Warten. Aber kurz vorm Angebotsende stieg der Preis rasant, die Spannung wuchs. Und plötzlich war das Objekt vom Netz entfernt. Wie denn? Ein mutmaßlich wichtige Leute vertretender Rechtsanwalt hatte angerufen und verlangt, daß der Stahl aus dem ebay entfernt wurde. Ansonsten schlimme Folgen, sagte er.

Ein neuer Versuch: Bei der nächsten anarchopower-Veranstaltung im Art Pub wollten wir den Stahlträger verkaufen. Ist uns nicht gelungen, weil das schwere, rostige Ding stürzte vom Sockel und landete auf Stones Fuß. Dort verursachte er Knochenbruch und Schmerzen. Seither ruht der Stahl im Keller.

[Av Sarah Schlitz, i: floppy myriapoda, 2009, og senere korrigert]